Für Beatrix Sieben, aber auch für das ISSO-Institut liegt in dem Ausspruch Hannah Arendts „Wahrheit gibt es nur zu zweien“, mit dem die Philosophin Friedrich Nietzsche (1844–1900) folgt, ein Bekenntnis zur Pluralität. Im sozialen Miteinander erschließt sich das Verständnis für andere Sichtweisen, und Empathie berücksichtigt die ganz persönlichen Betrachtungen aller jeweils Beteiligten. Darin sah Arendt etwas, das über den Status von reiner Freundschaft hinausgeht:
„Das politische Element der Freundschaft liegt darin, dass in einem wahrhaftigen Dialog jeder der Freunde die Wahrheit begreifen kann, die in der Meinung des anderen liegt.“
In ihrem Vortrag stellte Beatrix Sieben Hannah Arendt im Lichte ihrer biografischen Eckdaten und ihrer persönlichen Erfahrungen vor, die von Vertreibung, Flucht, Vertrauensverlust, Angst, finanziellen Sorgen, Wohnungssuche, mangelnden Sprachkenntnissen, aber auch von Freiheitsgeist und jeglicher Verwahrung gegen eine Vereinnahmung geprägt waren. Trotz ihrer vielen Vorträge an amerikanischen Universitäten bevorzugte Arendt ihr Leben lang eine Rolle als Gastprofessorin und genoss ihre Ungebundenheit.
Die Denkwelt von Hannah Arendt, die nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland und ihrer Ausbürgerung achtzehn Jahre als Staatenlose lebte, wurde von diesem Erleben geprägt. Aufgewachsen in Königsberg in einem sozialistisch geprägten Elternhaus, erarbeitete sich die wissenshungrige junge Frau ein umfassendes philosophisches Hintergrundwissen, orientierte sich an den antiken Denkern, verehrte Platon und konnte in der elterlichen Bibliothek auf die Schriften Kants und anderer neuzeitlicher Philosophen zurückgreifen. Sie entschied sich früh für ihr Ziel, ein Philosophiestudium zu absolvieren, und es klingt nicht verwunderlich, dass sie dieses Studium bereits begann, bevor sie ihre Abiturprüfungen absolviert hatte.