Wie Sprache unsere Denkmuster prägt – über Populismus, Vorurteile, Macht und Widerstand

Am Mittwoch, dem 26. März 2025, fand im Dreikönigenhaus in Koblenz die ISSO-Auftaktveranstaltung zur diesjährigen Seminarreihe „Mit Empathie gegen Rassismus“ statt. Der Abend widmete sich der Rolle von Sprache in gesellschaftlichen Strukturen, bei der Bildung von (Vor-)Urteilen und als Instrument im Kontext von Machtverhältnissen oder politischer Stimmungsmache. Nach drei Impulsvorträgen wurden die unterschiedlichen Perspektiven der Referierenden in einer Podiumsdiskussion beleuchtet. Dabei ging es vor allem auch darum, die Vorgehensweise von Populistinnen und Populisten zu erkennen, die Geschichten als Heilsversprechen bewusst platzieren, um unsere Gedanken, Meinungen und Positionen dauerhaft zu beeinflussen. 

Diskriminierende Sprachmuster 

Mit seinem Beitrag aus der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule startete der Publizist, Philosoph und Sozialwissenschaftler Peter-Erwin Jansen und stellte den Bezug von aktuellen Ereignissen in Deutschland, aber noch mehr in den USA zu Nazi-Deutschland her. Jansen studierte unter anderem bei Jürgen Habermas und ließ als Herausgeber von Schriften Herbert Marcuses und Leo Löwenthals deren Einschätzung von Propaganda zu Wort kommen. Am Beispiel der USA zeigte er auf, wie der Gebrauch von Sprache die Wirklichkeit konstruiert. Wie auf Kosten von Solidarität und Freiheit eine Propaganda von Sicherheit betrieben wird, die mehr verspricht, als sie zu halten vermag. Es werden Zuordnungen vorgenommen. Identitäten geschaffen. Wer gehört dazu? Wer gehört nicht dazu? Das Buch Löwenthals über „Lügenpropheten“ erlebte seit der Machtübernahme von autokratischen Staatslenkenden vielseitige Beachtung. Die „Feindanalysen“ von Marcuse, unter anderem über „Die neue deutsche Mentalität“, sind aktueller denn je. Diese Schriften – obwohl aus den 50er-Jahren – helfen zu verstehen, welchen Rechtsruck wir derzeit in unterschiedlichen Staaten wahrnehmen können. 

Eine Verordnung der Trump-Administration darüber, 220 Wörter nicht mehr in öffentlichen Texten zu verwenden, erinnert an die Gleichschaltung der Nationalsozialisten, die in den Buchverbrennungen gipfelte. Die in der New York Times veröffentlichte Wörterliste enthält vom „Golf von Mexiko“ über „Trauma“, „Rassismus“ und „Frauen“ eine ganze Litanei an Wörtern, die einen deutlichen Angriff auf Minderheiten und Randgruppen symbolisiert. 

Mit den digitalen Medien erhält der Populismus eine deutlich stärkere Ausdruckskraft und doch erinnert genau dieser Erfolg auch an den Weltempfänger, der die Botschaft des Dritten Reiches über alle Landesgrenzen hinaustrug. Die gesteigerte Beförderung von Populismus über digitale Medien lässt sich nicht leugnen.

Im Dickicht der Narrative: Populismus und seine kommunikativen Strategien

Als Medienwissenschaftler mit Schwerpunkt Mediensemiotik, Medienkultur und Storytelling unterscheidet Prof. Dr. Stefan Meier von der Universität Koblenz die Begriffe „Narrationen“ und „Narrative“, die im alltagssprachlichen Gebrauch oft gleichbedeutend im Kontext politischer Kommunikation auftauchen. Gerade in der Wahlkampf- oder in der Social-Media-Kommunikation, in der sich politische Botschaften stark verdichten und auf hohe Publikumswirksamkeit ausgerichtet sind, treten diese kommunikativen Mittel verstärkt auf. Sie lassen sich als Strukturmerkmale des Populismus aufzeigen und werden strategisch eingesetzt, um populistische Agitation zu verstärken, indem sie ihre polarisierende Kraft entwickeln. Meyer wies besonders auf die Inszenierungen der politischen Akteurinnen und Akteure hin, die sich bewusst volksnah, aber auch standhaft in Siegerpose (Donald Trump) oder angriffsbereit mit Kettensäge (Javier Gerardo Milei) bildgewaltig positionieren. In der Sprache greifen diese Personen zu Wortneuschöpfungen, die der ideologischen Ausrichtung dienen, so zum Beispiel wenn Alice Weidel von der „Rückführung von Flüchtlingen“ und „Remigration“ spricht oder wenn Donald Trump einen Angriff gegen den freien Journalismus mit dem Begriff „Fake News“ startet, ungeachtet dessen, dass er sich selbst für keine Lüge zu schade ist. Die Konstruktion von „Wir“ und den „Anderen“ bestimmt über Zugehörigkeit oder Ausgrenzung. Die Methode der Provokation und Skandalisierung wird als strategische Vorgehensweise eingesetzt, um digitale Reichweite im Netz zu bekommen, da die Algorithmen genau so programmiert sind.

Sprache: Ausgrenzung und Polarisierung

Als Bildungsreferentin der Bildungsinitiative Ferhat Unvar e.V., angehende Politikwissenschaftlerin und Poetry-Slammerin nutzt Meryem Mesfin ihre Auftritte, um ein breites Publikum für Themen wie Rassismus, Diskriminierung und soziale Gerechtigkeit zu sensibilisieren. Ihren Impulsvortrag baute sie auf einem grundsätzlichen Verständnis von Integration als einem normativen Konsens auf, der Konformität, Vertrauen und Kooperation voraussetzt, damit ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander ermöglicht wird. Diese Voraussetzungen werden aber konterkariert durch rechtspopulistische Machenschaften. Auf der Basis von sozialwissenschaftlichen Studien bewertete sie die aktuelle Debattenkultur in den Medien und betrachtete den Sprachgebrauch von bekannten Moderierenden. Sie ließ das Auditorium teilhaben an einer Überlegung, wie sehr gespalten und polarisiert unsere Gesellschaft bereits ist, wenn es um strittige Fragen oder „Triggerpunkte“ geht. Hierzu gehören zum Beispiel die Aufnahme von Flüchtlingen, die Genderdebatte und die Kapitalismusdiskussion. Entgegen der individuellen Wahrnehmung gibt es noch immer eine starke Mitte, eine „Middle of the Road“-Position, die sich durch bisherige Polarisierungstendenzen nicht vereinnahmen lässt. Andererseits führen viele Ungleichheitsdiskurse zu einer erhöhten Politisierung, was dann möglicherweise in einer Wahrnehmungsdiffusion endet. Mit dem abschließenden Poetry-Slam „Hallo Deutschland“ fasste sie ihren persönlichen Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen gekonnt zusammen.

Podiumsdiskussion: Demokratie braucht den Diskurs in einer angemessenen Sprache

Die von Beatrix Sieben moderierte Podiumsdiskussion im Anschluss an die drei Impulsvorträge ermöglichte auch den Teilnehmenden ins Thema einzusteigen und Fragen zu stellen. Mit knapp hundert anwesenden Personen war die Veranstaltung gut besucht. Die Teilnehmenden demonstrierten ein großes Interesse am Thema. Die aktuelle Weltlage, aber auch das Wahlergebnis der Bundestagswahl im Februar 2025 dürfte alle Demokratinnen und Demokraten aufgeweckt haben. Demokratie braucht Räume und eine Kultur, bei der kompetent inhaltlich diskutiert und debattiert wird. Eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung von gesellschafsrelevanten sozialökonomischen oder ökologischen Fragen ist notwendig und möglich. Mit der Fortsetzung der Veranstaltungsreihe „Mit Empathie gegen Rassismus“ leistet das ISSO-Institut dazu erneut einen Beitrag. 


Mitwirkende:

Meryem Mesfin ...

... ist Bildungsreferentin bei der Bildungsinitiative Ferhat Unvar e.V., Studierende der Politikwissenschaften an der Universität Düsseldorf und Poetry-Slammerin. Sie nutzt ihre Auftritte, um Themen wie Rassismus, Diskriminierung und soziale Gerechtigkeit künstlerisch zu verarbeiten und ein breiteres Publikum dafür zu sensibilisieren. Vergangenes Jahr leitete sie ein Seminar der Veranstaltungsreihe „Mit Empathie gegen Rassismus“.


Peter-Erwin Jansen ...

... ist Publizist, Philosoph und Sozialwissenschaftler. Er studierte unter anderem bei Jürgen Habermas und war Redakteur der sozialistischen Zeitschrift links. Jansen lehrt an der Hochschule Koblenz und war Gastprofessor in den USA. Zudem ist er Herausgeber von Schriften Herbert Marcuses und Leo Löwenthals.


Prof. Dr. Stefan Meier ...

... ist Medienwissenschaftler an der Universität Koblenz. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Mediensemiotik, populäre Medienkultur und digitales Storytelling. Er promovierte 2007 mit einer Arbeit zur Online-Diskursanalyse und habilitierte sich 2013 im Fach Medienwissenschaft. Im Juni 2021 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Zu seinen aktuellen Vorträgen zählen Beiträge zum digitalen Storytelling als didaktisches Konzept.


Beatrix Sieben ...

... ist Programmleiterin bei ISSO, dem Institut für Zukunftsgestaltung der Martin-Görlitz-Stiftung in Koblenz. Seit 2020 entwickelte sie unter anderem das Kommunikationskonzept „Empathiebasierte Verständigung“. Sie ist seit 2001 Geschäftsführerin von bea7 Selbstentwicklung von Teams und Persönlichkeiten. Ihre fachliche Expertise zieht sie aus ihrem Psychologiestudium sowie aus ihrer langjährigen Tätigkeit als Managerin in der Gesundheitsbranche und Begleiterin von Veränderungen. 


Wer die Auftaktveranstaltung verpasst hat, findet die Aufzeichnung hier.


Weitere Information zur Seminarreihe finden sich hier.



Aktuelle Buchversionen der zitierten Texte aus den 50er-Jahren:


Leo Löwenthal: Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation. Unter Mitarbeit von Norbert Guterman. Berlin: Suhrkamp 2021. ISBN 978-3-518-58762-1. Klappenbroschur, 253 Seiten, 15,00 €; E-Book 14,99 €


Peter-Erwin Jansen (Hrsg.): Herbert Marcuse. Nachgelassene Schriften / Feindanalysen. Über die Deutschen. Springe: zu Klampen! Verlag 2007. ISBN 978-3-866-74890-3. Hardcover, 169 Seiten, 28,00 €; E-Book 20,99 €


Steffen Mau et al.: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp 2023. ISBN 978-3-518-02984-8. Taschenbuch, 540 Seiten, 25 €

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sie suchen Leute aus, die sogar mehr draufhaben als sie selbst und die auch anders ticken als sie selbst; sie sind offener für Minderheiten und Frauen; sie entscheiden aus dem Bauch heraus, wen sie fördern; sie passen den Job den Talenten an und suchen nicht für bestimmte Stellenprofile die idealen Kandidaten; sie haben hohe Erwartungen an den Nachwuchs und geben ihm viel Verantwortung; sie akzeptieren, wenn die Topleute auch wieder gehen (was dem Image des „Super-Bosses“ gar nicht schadet, weil alle ohnehin bei ihm arbeiten wollen); sie halten auch danach noch Kontakt, fungieren also auch später noch als Mentor, selbst wenn die Betroffenen längst selbst erfolgreich sind.  Eine Checkliste für ganz normale Führungskräfte? Warum nicht: Dazu braucht es lediglich das Vertrauen in die eigene Stärke. Aber vermutlich unterscheidet genau das die wahren Führungspersönlichkeiten vom Rest. *Sydney Finkelstein ist Professor für Management und Leiter des Tuck Executive Programm an der Tuck School of Business am Dartmouth College in New Hampshire. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Strategieentwicklung und Entscheidungsprozesse sowie Personalführung Kommentar von Beatrix Sieben: Mit Blick auf den amtierenden US-Präsidenten ist es erfreulich, dass es auch andere Führungs- und Erfolgskonzept gibt.
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